Wald“ und damit verbundene Vorstellungen
werden aus unterschiedlichen Richtungen betrachtet und auch
als biografischer Erinnerungsraum in Beschlag genommen. Ein
Teil der Arbeit bezieht sich auf Anselm Kiefers (!) Serie
„Wege der Weltweisheit – Die Hermannsschlacht“. Das formale
Grundmuster von Kiefers Arbeit wurde übernommen, das Personal
und die Kriterien der Auswahl jedoch verändert. Weitere
Passagen der Arbeit verzahnen naturwissenschaftliche,
kulturhistorische und persönlich-biografische Aspekte des
Themenkomplexes Wald. Bilder, Texte und Zeichnungen widmen
sich den unterschiedlichen Facetten des Themas, bestimmte
Figuren, Begriffe und Bilder tauchen dabei immer wieder auf,
sodass sich die verschiedenen Assoziationsfelder immer weiter
überschneiden und verdichten.
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Barbara Alms, aus der Eröffnungsrede der Ausstellung
"Irgendwas mit Wald" in der GaDeWe Bremen am 11.11.11
(...) Die Ausstellung „Irgendwas mit Wald“ tritt im ersten
Blick als aufklärerische Dokumentation auf, als Recherche, als
Spiel und Spiegel der Phantasmagorien und Obsessionen von
Städtern des ausgehenden 20. und 21. Jahrhunderts. Die
Inszenierung eröffnet ein vielgestaltiges Gewimmel, ein
energetisch aufgeladenes Netzwerk von medialen Bildern,
Erinnerungsfetzen und Rekonstruktionen mit wiederkehrenden
IMAGES („Images are worth repeating“, so Lou Reed, so Andy
Warhol). Es wird plagiiert, zitiert und kompiliert, was das
Zeug hält. (...)
Ausgangspunkt, künstlerischer und intellektueller Mittelpunkt
ist die Bleistiftlinie der „Zeitleiste“ des Waldes. Ihre
poetische Präsenz in der Fläche wird minimal durch gesetzte
Schraffuren unterstützt. Die klare, nur wenig schwingende
Linie ist prinzipiell unendlich, sie bildet abstrakt unser
lineares Zeitempfinden ab, wird aber überlagert durch ein
zweites Ordnungssystem. Wie in dem didaktischen Schaubild
eines Naturkundebuchs sind Erläuterungen, Schnipsel zur
Evolutionsgeschichte des Waldes, zur Kulturgeschichte,
Geschichtsgeschichte und etliches anderes ausgebreitet. Da
geht es 260 Millionen Jahre zurück, da taucht aus der
Schattenwelt der Nadelbaumvorgänger unseres Laubbaums auf,
später der Limesbau, da wird an die Schlacht im Teutoburger
Wald erinnert, das Nibelungenlied, Lederstrumpf, Tarzan,
Kleist und endlich die Erinnerung daran, dass „Buchenwald“ –
wie? Was? – nein, der deutsche Buchenwald Unesco Welterbe 2011
geworden ist. Mit der Nähe zur Gegenwart ballt sich die
Assoziationsdichte, so dass es unmöglich scheint, die Fülle
der Assoziationen geschlossen zusammenzuhalten.
So flattern rund um die „Zeitleiste“ Gedanken und Bilder in vielen kleinen Zeichnungen und Fundstücken, aus der Erinnerung oder dem kollektiven Gedächtnis des Internet, von geheimer Herkunft und spielerischem Charakter, Potential weiterer vielfacher Assoziationen. Eigene Wucht behaupten die Denkmale der haptisch wirkenden Blattskulpturen aus dem Bleistiftland. Wir studieren nüchterne Kartografien von Waldgebieten. Wir lesen kryptische Hinweise auf die dunkle Geschichte des Waldes, kleine Störfeuer gegen naive romantische Empfindsamkeit: „Le Waldsterben“, ein Rekurs auf einen zeitgeistigen Themenabend bei arte, Stichworte wie „Buchenwald“, „Angst“, „Die Toten lagen vor der Hütte“, Verbrechen und Politik, „Die Toten werden zu Humus“, um nur einige zu nennen. Eine unendliche Anzahl von Materialien zum Kosmos des Waldes, welche die Künstler angehäuft haben und die nicht annähernd in der Ausstellung haben Platz finden können.
Über das Wuchern der Ideen, Zitate, Sprachfetzen, Zeichnungen hinaus konzentriert sich die Ausstellungsidee „Irgendwas mit Wald“ in fünf großen malerischen Tableaus, einer herausragenden Werkgruppe der Installation. Dokument und Fiktion werden kombiniert, Spiel und Ernst, Humor und Wissenschaft, Zeichnung, Malerei und Collage verdichten sich zu einer Form, in der das Malerische die Führung übernimmt.
Die düstere Anlage der fünf Bilder zitiert Anselm Kiefers geschichts- und materialschweres Gemälde „Wege der Weltweisheit“, entstanden in mehreren Fassungen in den siebziger Jahren als Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. In der Aneignung durch Bauer / Tekaat ist alles in eine Fläche transformiert, es gibt keine Hierarchien der Waldgeister, eher wie mit unterirdischen Wurzelstöcken, den Rhizomen, wenn überhaupt, ist das Nebeneinander der Erinnerungen verbunden. Wo bei Anselm Kiefer Goethe und Kant, Kleist und Hölderlin den mentalen Fundus des Deutschen bezeichneten, da entfalten Bauer / Tekaat nun eine internationale und vielfältig mediale Geisterwelt ihrer eigenen Heroen. In dem Eröffnungsbild, ironisch „Trimm-dich-Pfad“ genannt, mit dem sich die Künstler den Kraftzentren, dem Ursprung und Humus ihrer eigenen Kreativität bildnerisch nähern, irrlichtern die Gestalten von John Lennon, Wim Wenders, Stanley Kubrick, Winnetou, eine Comicfigur aus der Jugendzeitschrift Yps und - in der Mitte oben - Anselm Kiefer selbst. Ihre gespensterhaften Köpfe, anwesend und abwesend zugleich, bezeichnen frühe Erinnerungen und Erfahrungen, Orte des Wahrnehmens und der Bewunderung mit ihren vielfältigen Medialitäten, Text, Fotografie, Kino, Internet, Theater, Kunst. Dieser Wald gibt Geborgenheit und Inspiration.
Dunkle, flickernde Tafeln sind entstanden. Überhaupt alles in Schwarzweiß, den Nichtfarben der Reflexion. Hier im Raum finden wir zwei weitere Bilder. „Wir treffen uns an der schwarzen Hütte“ widmet sich denen, die tatsächlich den Wald bewohnten, wie der US-Amerikaner Henry Thoreau. An der gegenüberliegenden Seite vereinen sich die verschatteten Frauen im Wald. Da wird die Unheimlichkeit des Schwarz zwischen den eng stehenden Baumstämmen filmisch belichtet zum löcherigen Gitterwerk der Erinnerung: Es sind die„Jane“-Darstellerinnen in der Filmgeschichte der Jahre 1918 bis 2003, derer gedacht wird. Nicht der Mythos des Dschungelkämpfers Tarzan wird noch einmal beleuchtet, sondern subversiv die andere, die fast vergessene Legende der weiblichen Darstellerinnen wie Karla Schramm, der zweiten Jane, lesbar gemacht. Geheime Heroinnen des Waldes.
Wie Bauer / Tekaat kollektive Erinnerung
und individuelle Obsessionen verschränken, lässt sich auch den
beiden weiteren Großtableaus entnehmen. Es sind gleichermaßen:
zeitgenössische kollektive Schlüsselbilder und: individuelle
Referenzen der künstlerischen Hirne. Im Bild „Transfers“ – im
kleinen Raum -, einer Art Requiem-Bild, bewohnen die Toten,
fast gegenwärtig, das rätselhafte dunkle Gitterwerk der Bäume
und Zwischenräume, angeordnet wie in einer Aufstellung von
zwei Fußballmannschaften:
- die Toten des Jahres 2011 in der unteren Hälfte des Bildes,
Roman Opalka als Kapitän der Mannschaft mit Loriot, Peter
Falk, Amy Winehouse, Richard Hamilton, Bernhard Blume, Lucian
Freud u.a., allesamt in medial vermittelten Porträts.
- Im oberen Teil des Bildes in einer weiteren
Mannschaftsaufstellung sind die etwas älteren Toten mit
Todesjahren zwischen 2004 und 2010 versammelt, angeführt von
Paul Newman, mit Sigmar Polke, Dennis Hopper, Christoph
Schlingensief, Louise Bourgeois, Robert Rauschenberg.
Sichtbar sind diese Bilder so etwas wie oszillierende
Epitaphe, Erinnerungsbilder, wie sie in der Antike für die
Verstorbenen errichtet wurden, verbunden mit Bannung, aber vor
allem dem Dank an die Vorgänger. Eine atemberaubende Mischung
der kulturellen Codes, nicht ohne geheimes Pathos und voller
Humor. Wie das Fußballspiel der beiden Mannschaften wohl
ausgegangen sein mag – oder noch ausgeht, möchte man wissen.
Mit der Großinstallation „Irgendwas mit Wald“, diesem formidablen Geflecht geschichtlicher, naturgeschichtlicher und kultureller Codes und Obsessionen des Hier und Jetzt, haben Bauer / Tekaat einen weiteren Schritt in der künstlerischen Vergegenwärtigung der Komplexität gegenwärtiger Identität getan, bildmächtig wie vielleicht nie zuvor. Selbstbewusst und gerissen heben sie – jenseits der Klischees – im flickernden Licht das schwer Greifbare, Verborgene, Unterdrückte in die künstlerische Form.
„Irgendwas mit Wald“ ist ein geistiges
Abenteuer von selbstironischen Rebellen für Fans anarchischer
Recherchen.
Norbert Bauer / Ralf Tekaat
Irgendwas mit Wald |
2011 | mixed media
Hier die gesamte Rede als pdf zum
Download.
Hier ein
Heft als pdf (5 MB) zum Download.
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